Dünne Luft für spanische Start-up-Gründer

Eigentlich ist Juan Pedro Mellinas nur durch Zufall Unternehmer geworden. Seine Firma Eternalia, die sich der Gräberpflege widmet, hat er 2011 gegründet. Zuvor hatte der frühere Angestellte seinen Marketing-Job verloren. Mittlerweile ist Mellinas mit Eternalia in sechs spanischen Städten vertreten.

Doch andere Spanier, die auf der Straße sitzen, drängen mit aller Gewalt in sein Revier vor. Und Mellinas’ Geschäft ist noch nicht groß genug, um Mitarbeiter dafür zu bezahlen, dass sie sich um die Ruhestätten auf dem Friedhof in seinem Heimatviertel kümmern.

César Martín hat früher als Bildredakteur gearbeitet. Dann wurde er entlassen. Voller Tatendrang brachte er Sapeando auf den Weg. Die Website zur digitalen Fortbildung erwies sich als Volltreffer. Ein Video, das Lernwilligen zeigte, wie man richtig Hip-Hop tanzt, wurde 2,5 Millionen Mal abgerufen. Und trotzdem konnte er nicht genug Werbekunden akquirieren, und einen Kreditgeber fand er auch nicht. Jetzt wirft Martín entmutigt das Handtuch.

Gerard Vidal ist Doktor der Physik. Eine Stelle konnte er trotz seiner erstklassigen Ausbildung allerdings nicht ergattern. Vidal zögerte nicht lang, lancierte seine eigene Firma zur Verschlüsselung von Daten und taufte sie Enigmedia. Doch selbst der Physiker, der ans Lösen komplexer Aufgaben gewöhnt ist, hatte sich nicht vorstellen können, mit welchem Wust an Bürokratie die Gründung eines Unternehmens in Spanien verknüpft ist. Der Gang durch die Behörden sei “unlogisch, ineffizient und komplett frustrierend” gewesen, berichtet Vidal. Der umständliche Prozess habe den Firmenstart um Monate verzögert.

Drastische Etatkürzungen und Massenentlassungen in der Eurozone haben dazu geführt, das mehr als 18 Millionen Menschen ohne Arbeit sind. Für viele besteht der einzige Ausweg aus der Arbeitsmarktmisere in der Etablierung ihres eigenen Unternehmens. Doch den unerfahrenen Jungunternehmern bläst bei der Schaffung ihrer eigenen Jobs ein harscher Gegenwind entgegen – in Spanien, aber auch anderswo in Europa.

Kapital ist Mangelware, dafür blüht und gedeiht die Bürokratie. Dazu kommen eine traditionell stark ausgeprägte Risikoscheu und neuerdings ein Verbrauchermarkt, der nicht mehr vom Boden wegkommt. In derart dünner Luft kommt der Eigeninitiative der angehenden Firmenchefs in Europa schnell der Schwung abhanden.

Der Anteil derer an der Bevölkerung, die im Erwachsenenalter sind und die ersten Schritte in die Selbstständigkeit unternommen haben, lag in Deutschland im vergangenen Jahr bei nur 5 Prozent, in Frankreich bei 4,6 Prozent und 3,4 Prozent in Italien, wie eine Umfrage des “Global Entrepreneurship Monitor” zu Start-up-Aktivitäten belegt. In den USA betrug ihr Anteil dagegen 12,7 Prozent. Und selbst wenn sich die Europäer mit ihrem neuen Unternehmen etablieren konnten, sind ihre Firmen im Schnitt kleiner, und sie wachsen langsamer als die ihrer amerikanischen Kollegen.

Die Probleme, mit denen sich Unternehmer herumschlagen müssen, sind einer der Hauptgründe dafür, dass die europäische Wirtschaft auch nach sechs Jahren der Krise immer noch in Schwierigkeiten steckt. Die EU-Kommission hat in diesem Monat die Wachstumsprognosen für die Region in diesem und im kommenden Jahr zurückgeschraubt und verwies zur Begründung darauf, die größten Volkwirtschaften der Eurozone – Deutschland, Frankreich und Italien – hätten sich wirtschaftlich schlechter geschlagen als erwartet. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schloss sich in dieser Woche mit einer eigenen pessimistischen Einschätzung der Lage Europas an. “Die Eurozone ist der Sitz der Schwäche in der Weltwirtschaft”, erklärte OECD-Chefvolkswirtin Catherine Mann.

Europa mangelt es nicht an Wegbereitern, die zündende Firmenideen bereits äußerst erfolgreich in die Tat umgesetzt haben. In Spanien reüssierte Amancio Ortega, der Mitbegründer der Zara-Muttergesellschaft Inditex, die gemessen am Umsatz weltweit den ersten Platz unter den Textileinzelhändlern einnimmt. In Skandinavien hatten Janus Friis und Niklas Zennström den Internetkommunikationsdienst Skype ins Leben gerufen, der 2011 für 6,8 Milliarden Euro in den Besitz von Microsoft überging. Doch einen Flächenbrand haben diese Vorbilder nicht entfacht. Im vergangenen Jahr räumte die EU-Kommission in einer Studie ein, dass noch viele weitere Erfolgsgeschichten dieser Art nötig sind. Sie forderte einen “radikalen Wandel der europäischen Kultur hin zum Unternehmertum”. Dazu seien eine bessere Ausbildung, Programme zur Mikrofinanzierung und eine Eindämmung der Regulierungswut notwendig.

Für die Spanier ist dieser postulierte Wandel mittlerweile überlebensnotwendig geworden. Mit 23,7 Prozent verzeichnet das Land eine der höchsten Arbeitslosenquoten der industrialisierten Welt. Doch die Lernkurve für Neulinge auf dem Chefposten ist steil.

Miguel Ángel Fuentes ist 32 Jahre alt. Seine Stelle in einer Eiscremefabrik hatte er vor ein paar Jahren verloren. Er vertrieb sich gerade die Zeit mit dem Schnitzen einer Bambusflöte, als ihm plötzlich einfiel, wie er eines Tages vielleicht doch wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt fassen könnte. Die Flöte hatte ihn zu dem Plan inspiriert, mit Bambus Geld zu ernten. Die schnell wachsende Pflanze könnte als Biokraftstoff Verwendung finden, ihr hartes Holz eignet sich außerdem zum Bau von Möbeln. Mitten in Valencia, dem Kernland des Orangenanbaus, wollte Fuentes die Felder seiner Firma Bamboo Energy anlegen.

Völlig auf sich allein gestellt, machte er sich an die Umsetzung seiner Idee. Berater, die ihn möglicherweise vor typischen Anfängerfehlern hätten bewahren können, waren nur schwer aufzutreiben. Unabsichtlich kaufte Fuentes Land, das mitten in einem Vogelschutzgebiet lag. Dort durfte er nichts anbauen. Er mietete ein anderes Grundstück, doch seine erste Ernte fiel miserabel aus. Bei einem Versuch, im Internet mittels einer Crowdfunding-Initiative Gelder zusammenzutrommeln, meldete sich kein einziger Investor. Er habe Regierungsvertreter in seiner Heimatregion um Rat und Unterstützung gebeten, erzählt Fuentes. Doch alles, was zurückkam, seien automatische E-Mail-Antworten gewesen. Schließlich habe er doch noch ein bisschen Geld zusammenbekommen. Und mittlerweile sei es ihm auch gelungen, auf einem gepachteten Grundstück Bambusmutterpflanzen zu züchten. Jetzt bemühe er sich gerade darum, potenzielle Abnehmer auf seine Ware aufmerksam zu machen.

Staatliche Initiativen zur Unterstützung von Unternehmern sind in Spanien bei weitem nicht flächendeckend zu haben. In der Regel seien die vorhandenen Programme auf unterschiedliche Behörden verteilt, wobei viel den Kommunen oder Bildungseinrichtungen überlassen bleibe, sagen Experten.

Er wolle “Unternehmern den roten Teppich ausrollen”, hatte der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy versprochen. Seine Regierung hat Gesetze verabschiedet, die Einstellungen dadurch vereinfachen sollen, dass es billiger wird, Angestellte zu entlassen. Gemäß dem “Unternehmerschaftsgesetz” sind Steuererleichterungen vorgesehen, Schritte zur Eingrenzung der persönlichen Haftung im Fall einer Insolvenz und Programme, bei denen in Schulen unternehmerisches Handeln vermittelt wird.

Ökonomen monieren zwar, diese Maßnahmen gingen nicht weit genug. Aber immerhin tragen sie dazu bei, dass Spanien schneller wächst als andere maßgebliche Volkswirtschaften in der Eurozone.

Seit langem schon steht es Arbeitslosen in Spanien frei, ihre Arbeitslosenunterstützung in einem Pauschalbetrag ganz oder teilweise dafür herzunehmen, ihr eigenes Geschäft aufzuziehen. Seitdem das Land 2008 in die Rezession abgetaucht ist, haben rund 1 Million Spanier von dieser Möglichkeit Gebrauch bemacht, berichtet das Arbeitsministerium.

In einigen Fällen waren die Hilfsgelder bestens angelegt. Die damit begonnenen Vorhaben haben sich prächtig entwickelt. Der 38-jährige Francisco Javier Gómez etwa hatte zusammen mit seinem Bruder rund 30.000 Euro an Arbeitslosenunterstützung in ihr frisch gebackenes Technologie-Unternehmen Qualica-RD gesteckt. Die Firma ist inzwischen dazu übergegangen, ihre Technik zur automatischen Identifizierung auch ins Ausland zu exportieren.

Früher war Juan Antonio González in der Inkassoabteilung der Citibank beschäftigt. Im Jahr 2012 wurde der jetzt 56-Jährige entlassen. Er zapfte einen Teil seiner Arbeitslosenunterstützung an und entdeckte auf diesem Weg, dass ein echter Unternehmer in ihm steckt. Sein Unternehmen nannte er “Yatri”, das Hindi-Wort für einen Reisenden. Seine Firma organisiert Gedächtnisgottesdienste für Angehörige von Toten, die kremiert wurden. Viele der Gedenkveranstaltungen finden auf gemieteten Booten, in Flugzeugen oder Hubschraubern statt. González hat zum Beispiel dafür gesorgt, dass die Söhne eines leidenschaftlichen Anglers die Urne des Vaters an dessen Lieblingsangelstelle unterbringen konnten. Oder er arrangierte einen Helikopterflug für eine Dame, die die Asche ihres geliebten Chihuahua unbedingt über dem Atlantik verstreuen wollte. In 18 Monaten leitete er rund 200 Gedenkzeremonien und sein Geschäft wächst und wächst.

Dass sich González so erfolgreich schlägt, könnte allerdings eher die Ausnahme denn die Regel sein. Gemäß einer EU-weiten Studie aus dem Jahr 2012 ist es nämlich um 42 Prozent wahrscheinlicher, dass ein Unternehmen scheitert, wenn es von Menschen angepackt wurde, die ihre Stelle verloren hatten, als wenn Arbeitnehmer, die freiwillig ihren Posten räumten, die Firma gründeten.

Ganz allgemein gesagt verfügten Arbeitslose in der Regel über weniger Talent und Praxis, wenn man sie mit denen vergleicht, die ihre Stelle behalten haben, sagt Emilio Congregado, ein Volkswirt an der Universität von Huelva, der die Studie mit verfasst hat. Die Welle ehemals arbeitsloser Unternehmer verschlimmere die Schwächen eines Geschäftssektors, der sich in ganz Südeuropa ohnehin schon in Richtung kleiner, weniger produktiver Unternehmen neige, ergänzt er.

In Spanien, Italien und Portugal arbeiten mehr als 40 Prozent der Erwerbstätigen bei Firmen mit weniger als zehn Beschäftigten. In den USA liegt dieser Anteil bei 11 Prozent und in Deutschland bei 19 Prozent, schreibt die OECD. In Griechenland sind mehr als 50 Prozent der Arbeitskräfte in solchen Kleinbetrieben angestellt. Die südeuropäischen Volkswirtschaften, in denen kleine Firmen dominieren, weisen generell eine geringere Produktivität unter den Arbeitenden aus, als die sich besser entwickelnden Länder auf dem Kontinent, geht aus EU-Statistiken hervor. “Man wird für die Schließung einer Firma mit 250 Arbeitern nicht dadurch entschädigt, dass man 250 brandneue Unternehmer bekommt”, sagt der Volkswirt Javier García Alvarez.

Europa bringe zudem nicht so viele schnell wachsende Firmen hervor wie die USA, stellt der Ökonom Albert Bravo-Biosca von der Londoner Forschungsgruppe Nesta fest und meint damit die Elite-Firmen, die fast die Hälfte aller neuen Stellen schaffen.

Europa ist daher in Sachen Unternehmenschampions gegenüber anderen Regionen ins Hintertreffen geraten. Unter den 500 größten, börsennotierten Unternehmen der Welt befanden sich Ende 2012 nur fünf europäische Gesellschaften, die nach 1975 gegründet worden sind. Im Vergleich dazu fanden sich in dieser Altersklasse jeweils 31 Firmen aus den USA und 31 aus aufstrebenden Ländern, berichtet Nicolas Veron vom Brüsseler Forschungsinstitut Bruegel.

In Spanien sind die Hürden auf dem Weg zu Selbständigkeit und Unternehmertum besonders hoch. Im Jahr 2013 hatte die OECD dem Land in einer Umfrage den zweitschlechtesten Platz unter 29 Nationen zugewiesen, was die Schwellen und Hemmnisse für künftige Unternehmer anging. Allein der Akt der Unternehmensgründung an sich hat sich als eine der Hauptherausforderungen für spanische Möchtegern-Firmenbosse herauskristallisiert.

Diana und Arantxa Fernández etwa brauchten im vergangenen Jahr etwa sechs Monate, um alle nötigen Genehmigungen zur Eröffnung einer Kindertagesstätte beizubringen. Die Schwestern hatten sich für ihr Vorhaben ihre Arbeitslosenunterstützung pauschal auszahlen lassen. Sie gingen zwar äußerst sparsam mit den Mitteln um. Aber am Ende der langen Wartezeit war der Großteil ihres Kapitals verbraucht, und jetzt wird es finanziell knapp für die beiden.

Alicia Macías hatte als Beraterin bei Accenture gearbeitet. Im Jahr 2012 wurde sie entlassen. Sie brachte ihr eigenes Online-Juweliergeschäft namens dWappo.com ins Rollen. Allerdings ging sie mit ihrer Neugründung nach England, um den bürokratischen Fallstricken in Spanien zu entgehen und höhere Sozialversicherungsabzüge und Steuern zu vermeiden. Doch ihre Strategie erwies sich als untauglich. Einige ihrer Kunden aus Spanien wollten nicht mit ihrer Londoner Bank zusammenarbeiten, und die internationalen Bankgebühren stellten sich als horrend heraus. Also siedelte die 41-Jährige schließlich mit ihrer Firma nach Spanien um und ist dabei, ihren Kundenstamm stetig auszubauen.

Die spanische Regierung hat mittlerweile ein Einsehen. Sie hat jüngst Anstrengungen unternommen, die Dokumentationsanforderungen zu verringern und den bürokratischen Aufwand für Unternehmer abzubauen. Der Prozess zur Geschäftsregistrierung etwa soll dadurch gestrafft werden, dass die an dem Vorgang beteiligten staatlichen Stellen nun elektronisch miteinander vernetzt wurden. Trotz aller Verbesserungen dauert es im Schnitt aber immer noch 13 Tage, bis ein Unternehmer in Spanien mit seiner neuen Firma an den Start gehen kann, hat die Weltbank beobachtet. In OECD-Ländern lasse sich dieser Schritt durchschnittlich in 9,2 Tagen erledigen, während effizient arbeitende Behörden in Ländern wie den Niederlanden nur 4 Tage dazu brauchten, schreibt die Weltbank weiter.

Auf der jüngsten Rangliste, die die Weltbank hinsichtlich der einfachen Handhabung von Unternehmensstarts unter 189 Ländern erstellt hat, landete Spanien auf Platz Nummer 74, direkt hinter Ägypten, Saint Lucia und Trinidad und Tobago.

“In die Maßnahmen zum Bürokratie-Abbau ist Bewegung gekommen, aber nur sehr langsam. Und Spanien ist ein Land in Not. Zeit zum Abwarten gibt es nicht”, drängt Robert Tornabell, ein Volkswirt der ESADE Business School in Barcelona.

Und auch die Banken geben sich mit Krediten nach wie vor zögerlich. Zu stark sind sie damit beschäftigt, ihre Bilanzen abzustützen, die durch Jahre der Rezession in Mitleidenschaft gezogen wurden. Am Donnerstag ließ die Europäische Zentralbank wissen, die Kreditvergabe der Banken an Unternehmen in der Eurozone habe sich im Oktober weiter verringert.

David Fito hatte bei einer Bank gearbeitet und wurde vor ein paar Jahren vor die Tür gesetzt. Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wollte er eine Bäckerei eröffnen und glutenfreie Ware anbieten. Dafür habe er 100.000 Euro benötigt, berichtet er. Doch bei 30 Banken sei er mit seiner Anfrage abgeblitzt. Den Kredit habe er erst bekommen, nachdem seine Eltern ihre Wohnung als Sicherheit in den Ring geworfen und weitere sieben Gehaltsempfänger den Vertrag mit unterzeichnet hätten. Jetzt wachse sein Geschäft, sagt er.

In den vergangenen Monaten stellten sich zaghafte Signale ein, dass Kreditinstitute eher bereit sind, kleinere Betriebe mit Krediten zu versorgen. Doch das Kreditniveau sei immer noch viel niedriger als vor der Krise und weit unter dem notwendigen Level, kritisieren Analysten. “Ich glaube nicht, dass das in dem Tempo hinabsickert, wie wir das gerne hätten, oder an die Geschäfte gelangt, die es bräuchten”, sagt Robert Robinson, Direktor der Madrider ICADE Business School. Die Kreditdürre sei das allergrößte Problem, dem sich Unternehmer gegenüber sähen.

Paradoxerweise könnte die Beschäftigungskrise dazu führen, eine in Europa tief verwurzelte Angst vor dem beruflichen Scheitern auszumerzen. Derlei Versagensängste stehen auf dem europäischen Kontinent dem Gedeihen des Unternehmertums stärker entgegen als in anderen Regionen der Welt, haben akademische Studien gezeigt. Doch die Europäer scheinen umzudenken.

“Die Angst vor dem Scheitern ist kein so großes Thema mehr, weil das ganze Land ein Fehlschlag ist und die meisten von uns pleite sind oder wir uns schwer tun, unsere Rechnungen zu bezahlen”, beschreibt Nick Drandakis aus Athen den Mentalitätswandel. Er hatte 2011 die App Taxibeat auf den Markt gebracht, die Taxifahrer der Bewertung durch die Fahrgäste unterzieht.

Ein ermutigendes Zeichen ist die Zunahme von Inkubatoren und Anlaufstellen, die den Firmen in ihrer Entwicklung beschleunigend unter die Arme greifen. Zwischen 2007 und 2013 hat sich die Zahl dieser Abschussrampen für junge Unternehmen in zehn führenden europäischen Volkswirtschaften um fast 400 Prozent auf 260 erhöht, ist in einer Studie des spanischen Telekommunikationsriesen Telefonica nachzulesen.

In Spanien kamen sich junge Leute mit unternehmerischer Veranlagung lange Zeit völlig fehl am Platz vor. María Alegre hatte schon mit 13 Jahren in Barcelona selbstgebastelten Schmuck verkauft. Sie weiß auch noch, was sie verdient hat: 13.000 Peseten, das waren damals umgerechnet rund 72 Euro. Doch das Wort “Unternehmertum” sei ihr erst zu Ohren gekommen, als sie bereits im fünften Jahr ihres Wirtschaftsstudiums an einer spanischen Hochschule steckte. Und erst als sie an der University of Michigan studiert habe, sei sie in ihrer Eigeninitiative unterstützt worden. Heute leitet die 29-Jährige in San Francisco die Firma Chartboost, die sie mit aus der Taufe gehoben hat. Die 130 Mitarbeiter des Unternehmens helfen Entwicklern mobiler Spiele dabei, neue Nutzer zu finden und die Spielangebote zu versilbern. In Spanien herrsche leider eine “Kultur der Risikoscheu und der zu bescheidenen Träume”, klagt Alegre.

Allerdings zeichne sich jetzt doch langsam ein Sinneswandel unter den Spaniern ab, räumt sie dann ein. Ihre Mutter unterrichte in Barcelona an einer weiterführenden Schule. Ihre Klasse habe sich jüngst bei einem Unternehmerwettbewerb beworben – und gewonnen.

Die massive Stellenvernichtung im öffentlichen und privaten Sektor in Spanien hat dazu geführt, dass Zentren zur gemeinschaftlichen Arbeit aus dem Boden schießen. In Fernsehdokus werden führende Vertreter der “Los-Start-ups”-Szene porträtiert. Und in Buchläden reiht sich ein Selbsthilfeband an den anderen, die allesamt den Aufstieg vom “Arbeitslosen zum Geschäftsmann” zum Thema haben.

“Wir sind beim Unternehmertum auf Aufholjagd gegangen. Aus dem Stand haben wir jetzt plötzlich Akzeleratoren, Inkubatoren, Fernsehsendungen und eine ganze Reihe von Netzwerk-Veranstaltungen”, sagt Lucas Carné, Mitbegründer der Privalia Group, die online Mode verkauft und einen Jahresumsatz von 400 Millionen Euro erzielt. Die Politik der Regierung konzentriere sich übermäßig stark auf Notmaßnahmen zur Selbstständigkeit, sagt er und verweist auf die Pauschalauszahlungen der Arbeitslosenunterstützung. Die Politiker sollten sich seiner Ansicht nach lieber stärker auf Änderungen bei der Besteuerung verlegen, die speziell auf Start-ups abzielen sollten, die das Potenzial für umfassendere Innovationen und eine höhere Produktivität hätten. Trotzdem stellt auch Carné fest, dass sich “Spanien mit Blick auf das Unternehmertum aus dem dunklen Mittelalter heraus bewegt”.

Auf die Idee, in der Nähe von Cartagena einen eigenen Grabpflegedienst anzubieten, war der 39-jährige Juan Pedro Mellinas gekommen, als er am Festtag Allerseelen bemerkt hatte, in welch schlechtem Zustand viele Gräber auf dem Friedhof in seinem Viertel waren. Mittlerweile hat seine Firma Eternalia regen Zulauf, und Mellinas’ Erfolg hat Nachahmer auf den Plan gerufen. Auf der Website eines Konkurrenten war dreister Weise sogar ein Foto von Mellinas zu sehen, wie er gerade ein Grab säubert. Das Logo von Eternalia auf seinem Arbeitshemd hatten die Trittbrettfahrer allerdings vorsorglich weg retuschiert.

Um sich von den schnöden Nachäffern abzuheben, unterhält Mellinas mittlerweile einen Blog, das berühmt dafür geworden ist, Friedhofspläne zu veröffentlichen, an die schwer heranzukommen ist. Im vergangenen Jahr schlug er sich mit seinem neuen Geschäft so gut, dass er – dank der Überweisungen von Friedhofspflegern, die sich seiner Firma angeschlossen haben – mit den Einnahmen aus seinem früheren Marketing-Job in der Getränkeindustrie gleich ziehen konnte.

Dieses Jahr werden seine Zahlen allerdings nicht so gut ausfallen. Seine Lizenznehmer in den beiden größten spanischen Städten Madrid und Barcelona haben sich aus der Grabpflege verabschiedet. Die Arbeit sage ihnen doch nicht so zu, hatten sie Mellinas wissen lassen. “Lassen Sie sich bloß von keinem einreden, dass es einfach ist, in Spanien Unternehmer zu sein”, sagt der Firmenboss.

Quelle: The Wall Street Journal, 06.12.14 – Zur Nachricht

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